Masse der Klasse - Skulptur von Elvedin Klačar, 2016

"Masse der Klasse" nennt Elvedin Klačar seine interaktive Skulptur im Hof der Landesberufsschule Neunkirchen. Klačar hat mit ihr eine entsprechende Form für seine künstlerische Versuchsanordnung zum Begriff der Masse gefunden, an der die Schüler*innen und natürlich auch die Lehrer*innen partizipieren können.

Mit der Skulptur bezieht sich Klačar auf „Masse und Macht" (1960), dem viel beachteten Hauptwerk des Literaturnobelpreisträgers Elias Canetti. Ausgehend von seiner intensiven Wahrnehmung der Massenbewegungen in den 1920er-Jahren, hatte sich der Schriftsteller zu fragen begonnen, wie sich Macht – vor allem in totalitären Staatsformen – konstituiert und wieso die Massen ihr folgen und gehorchen.

Die Grundform seiner Skulptur im Schulhof bildet ein 3 x 3 x 3 Meter großer Kubus, der durch einen Rahmen aus Aluminiumprofilen definiert ist. Die obere Hälfte des Kubus ist leer, die untere Hälfte durch unterschiedlich hohe, mit Aluminium überzogene Podeste gefüllt. Alles zusammen liegt auf einer im Sockel verstecken Industriewaage, die bis zu 5000 Kilogramm messen kann. Klačar hat 40 Gewichtseinheiten von 0 bis 150 Kilogramm festgelegt und diesen verschiedene Zitate aus „Masse und Macht" zugewiesen. Sie scheinen auf einer digitalen Anzeige unten im Stiegenhaus des Wohnheims auf, wenn sich mehr als eine Person auf der Skulptur befindet – also sich eine Masse zu formieren beginnt.

Die Qualität dieser „Masse" ist, dass sie über ihre physikalische Bestimmung hinauswachsen kann, über ihre Funktion als Sitzobjekt und abstrakte Skulptur, über ihre Bedeutung als künstlerisches Zeichen für eine Schule, die vorwiegend Metallbearbeitung und Metalltechnik lehrt, zu einem Forschungsmedium in Sachen „Masse und Macht". „Erst durch das Betreten der Installation wird sie zu einem politischen Objekt", sagt der Künstler, "die Zitate konfrontieren die Schüler*innen nicht nur mit der Bedeutung von Macht, sondern auch mit der Frage, welche Rolle das Individuum im Kollektiv spielt." Macht, soziales Verhalten und Gesellschaftssysteme sind seine zentralen Themen. Er beobachtet und interagiert, lässt interagieren und experimentiert dabei in viele Richtungen, vorzugsweise – auch das ist in Neunkirchen zu sehen – auf eine spielerische Art.
(Cornelia Offergeld)

Das Projekt entstand in Zusammenarbeit mit Kunst im öffentlichen Raum Niederösterreich. www.koernoe.at

Weiterführende Informationen unter http://perspektivenaufkunst.net.

Elvedin Klačar

*1976 in Rudo, Bosnien und Herzegowina, lebt in Wien. Studium an der École supérieure des beaux­arts de Marseille und der Akademie der bildenden Künste Wien. Der Künstler setzt sich in seinen Skulpturen und Installationen

immer wieder kritisch mit der Bedeutung des Einzelnen in der Gemeinschaft auseinander. Ausstellungen u.a. im ROTOR, Graz und beim Steirischer Herbst Graz

(2011), im Künstlerhaus Wien (2012) oder beim Kunstgastgeber Gemeindebau, Wien

(2014), im Kunstraum Niederoesterreich (2016) und bei den Wiener Festwochen (2019). http://www.klacar.net

Installation von Olaf Nicolai, 2005

Auf dem Dach des Neubaus der Landesberufsschule Neunkirchen wurden zwei idente sechs Meter lange und einen Meter hohe Schuluhren mit digitaler, achtstelliger Anzeige installiert.
Die Uhr sprengt die Erwartungen, die man gemeinhin an eine solche stellt, und misst die Zeit auf höchst genaue Weise: Auch die Zehntelsekunden und Hundertstelsekunden werden dargestellt. So pragmatisch, funktional und beiläufig der Zeitmesser mit seinen digital angezeigten Zahlen und dem Aluminiumgehäuse daherzukommen scheint, so unerbittlich gnadenlos ist seine Aussage: Hier rennt einem bildlich die Zeit davon – und das umso mehr, je genauer man diese messen und sehen kann.
Lakonisch gibt der Künstler eine naturwissenschaftliche Erklärung der Symbolik der rasenden LED-Anzeigen. Die Darstellungen von Maßeinheiten, die in gewissen unterrichteten Fächern in der Schule notwendig sind, seien nicht mehr an die „unmittelbare" Dimension der menschlichen Wahrnehmung gebunden. Dies wiederum wirke sich – besonders signifikant sichtbar in Schulen – auf die Konditionierung der Wahrnehmung selbst aus.
Olaf Nicolai ist bekannt dafür, Fragen der Naturwissenschaft mit zivilisatorischen zu verbinden. Hier umreißt er die gesamte Paradoxie, der die heutige Beschleunigungsgesellschaft unterliegt, beherrscht von der Zeit, die von ihr selber so schnell gemacht wurde, und unfähig, diese wahrzunehmen.
(Cornelia Offergeld)

Das Projekt entstand in Zusammenarbeit mit Kunst im öffentlichen Raum Niederösterreich. www.koernoe.at

Weiterführende Informationen unter http://perspektivenaufkunst.net.

Olaf Nicolai

*1962 in Halle an der Saale, lebt in Berlin. Studium der Germanistik an der Universität Leipzig 1983 bis 1988. Seit Anfang der 1990er Jahre ist er mit Gruppen- wie mit Einzelausstellungen an inzwischen fast allen wichtigen Orten des zeitgenössischen Kunstgeschehens präsent. Olaf Nicolai war sowohl auf der Documenta X (1997) wie auf der 49. und 51.Biennale von Venedig (2001 und 2005) vertreten. Er erhielt mehrere Stipendien, darunter das der Villa Massimo in Rom (1998). Seit 2011 ist Olaf Nicolai Professor für Bildhauerei und Grundlagen des dreidimensionalen Gestaltens an der Akademie der Bildenden Künste München.